Es gibt doch nochmal ein paar Krümel Schnee diesen Winter. Das finde ich gut, auch wenn ich meinen Berg dadurch besonders langsam herunterradeln muss.
Es kommen heute auffallend viele Leute mit lustigen Namen auf die Arbeit, was meinen Kollegen und mich erheitert. (Wenigstens was). Vielleicht macht aber auch nur das viele Weiß da draußen albern.
Zum Feierabend holt mich Maria mit dem Auto ab und ich lasse mein Fahrrad über Nacht im Schnee stehen.
Wir haben einen Termin bei einer Notarin im Nachbarort, um eine Sache beurkunden zu lassen, die uns eine Fessel mit Eisenkugel vom Fuß nehmen wird. Da ich früher ein sehr unpünktlicher Mensch war und mich das selbst ärgerte, ich aber auch nichts so richtig dagegen machen konnte, habe ich irgendwann den Schalter umgelegt und bin jetzt seit bestimmt zwei Jahrzehnten überall zu früh da. Das kommt im Schnitt besser an, aber auch nicht immer. Wenn man zum Beispiel bei Familienfeiern erscheint, während der Tisch noch eingedeckt wird und der Kuchen noch im Ofen ist, ist das gesellschaftlich auch nicht sonderlich gut akzeptiert. Trotzdem ist es im Schnitt besser, eine halbe Stunde zu früh als eine halbe Stunde zu spät zu einem Termin zu erscheinen.
Das gelang auch heute und da unsere Vorgänger ihren Termin abgesagt hatten, waren wir auch alsbald dran. Die Notarin begrüßte uns mit derselben Stimme, wie die Staatsanwältin aus dem Mainz-Tatort, was, dem Gilb und Geruch in ihrem Büro nach zu schlussfolgern, eindeutig das Ergebnis einer erfolgreichen Raucherkarriere war. Wir hatten sie vor zehn Jahren das letzte Mal gesehen, sie war aber locker zwanzig Jahre älter geworden seitdem. Die fröhliche Freundlichkeit war dieselbe geblieben und so brachte sie das routiniert mit einigen Scherzen begleitet über die Bühne.
Wir waren früher als geplant zu Hause und hatten gerade die Jacken ausgezogen, als es an der Tür schellte. Zwei adrette Frauen mit gepflegtem Äußeren standen da, die eine etwas jünger als ich, die andere einiges älter.
Frau: »Hätten Sie kurz ein paar Minuten Zeit für uns und ein wichtiges aktuelles Thema?«
Ich (skeptisch): »Geht es um Wahlwerbung?«
(Frauen werfen sich einen schwer zu deutenden Blick zu)
Frau: »Wir würden gerne mit Ihnen über die Bedeutung der Bibel in unseren schwierigen Zeiten sprechen«
Ich: »Dafür bin ich absolut nicht der richtige Ansprechpartner.«
Frau: »Sie haben es nicht so mit der Bibel, ne? Die spielte ja früher hierzulande auch keine große Rolle.«
Ich: »Ich möchte mit ihnen nicht weiterreden und beende das Gespräch an dieser Stelle.«
Sie: »Okay, schade. Auf Wiedersehen!«
Ich: »Alles Gute!«
Mehr als »Die Bibel ist ein inkohärentes, martialisches Stück Prosa.« und »Glauben macht das Denken komisch« hätte ich eh nicht beitragen können. Aber da ich das erste Mal Zeugen Jehovas (vermute ich) an der Tür hatte, möchte ich es trotzdem hier festhalten.
Maria haderte mit ihrem Freundinnentreff, da es ja nun schneite, fuhr aber dann doch noch los.
In der Zwischenzeit ging ich zum Verein, um die kritische Satzungssache von neulich zu klären. Trotz der Kürze der Zeit, des Termins und des Wetters kamen wider Erwarten fast 30 Mitglieder zu dieser außerordentlichen Vollversammlung. Dort war es heiter. Es ging alles glatt und einstimmig in unter einer Stunde über die Bühne. Ich verabschiedete mich aber alsbald, während es um mich rum gesellig wurde. Ich war sehr müde und die Töchter waren alleine zu Hause. So konnte ich das Protokoll der Sitzung gleich noch fertig schreiben und die weiteren Schritte auf den Weg bringen.
Beim Vater von Buddenbohms Söhnen fand ich einen wunderbaren Text, den ich auch bei mir nochmal bewerben möchte, obgleich mir bewusst ist, dass auch der nichts Wesentliches ändern wird an der Gesamtlage: https://republik.ch/2025/02/11/strassberg-die-unfaehigkeit-zu-trauern
„Es braucht jetzt eine Zeit echter, illusionsloser Trauer, mit all den Phasen, die Elisabeth Kübler-Ross beschrieben hat : Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Keine Phase darf übersprungen werden: Wir stecken noch mitten in der Verleugnung, jetzt ist Wut angesagt.“