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02.Januar 2024 – Jahresstart

Wenn am ersten Januar die jüngste Tochter ins Schlafzimmer kommt und mit lieblicher Stimme den am Fußende schlafenden Kater fragt: »Peterchen, frisst du eigentlich Zwergkaninchen!?«, startet das Jahr nicht so schlecht. Seit Weihnachten durch ist, führen wir ein immer wieder aufflammendes Pro und Contra – Wortgefecht mit ihr, die sich seither zum Geburtstag im März ein Zwergkaninchen wünscht. Wir bringen jede Menge sachliche Argumente, die gegen diesen Wunsch sprechen und sie kontert alle mit einem: »Aber die sind so süüüüß«. Bekommen wird sie trotzdem keins, dazu sind ihre Wünsche immer zu impulsiv und wechselhaft und unsere Argumente zu gut.

Am Abend zuvor saßen wir mit unserer bewährten Silvesterfeierrunde beisammen. Jedes Jahr ist ein anderes Paar mit der Ausstattung dieses zwingend zu begehenden Festes dran, in diesem Jahr wir. Das eine Pärchen sind unsere besten Freunde, das andere Pärchen stammt ursprünglich aus Litauen, wohnt aber nun schon gut zwanzig Jahre hier. Er kam ursprünglich mit seinem Bruder, um hier Basketball zu spielen, hat aber schon lange seine Kariere beendet. Über den Basketball haben wir uns dann auch kennengelernt. Ein sehr liebenswürdiges Paar sind die, haben diese Mischung aus herzlicher osteuropäischer Erziehung und dem Anpassungsdruck vieler Zugewanderter, ja nichts falsch machen zu dürfen. Außerdem mag ich den litauischen Akzent, der für Laien wie ein russischer klingt, aber eigentlich mehr baltischen Einschlag enthält, wenn man genau hinhört. Sehr liebe Menschen.

Der Abend nahm den gewohnten Lauf. Der Versuch, viel zu vielen Raclette-Zutaten den Garaus zu machen, gute bis spaßige Gespräche, zwei drei Partyspiele, das Öffnen von Glückskeksen. Der Raclettegeruch liegt noch heute in unserem Heim. Das Déjà-vu vergangener Jahreswechsel stellt sich ein, mit dem Unterschied, dass ich fast vollständig auf Bier oder anderen Alkohol verzichte. Eine halbe Stunde vor Mitternacht laufen wir auf die kleine Anhöhe hier im Dorf, von wo aus man weite Teile des Ortes sowie ein Plattenbaugebiet und eine Eigenheimsiedlung der benachbarten Kleinstadt gut überblicken kann. Dort gibt es ein großes „Hallo“, wir treffen viele Freunde und Bekannten und wünschen uns, als es soweit ist, nur das Beste. Von einigen, die um meine Situation wissen, bekomme ich ein paar besonders nette Worte. Das war schön.
Leider hat sich auf dem Hügel auch eine dieser unvermeidlichen (es gibt kein besseres regionales Wort dafür) Ronnyfamilien eingefunden. Eine ziemlich große. Die Familienoberhäupter haben alle einen armeetauglichen Haarschnitt und tragen in neonfarben blinkende Spaßsonnenbrillen. Sie haben einen Bollerwagen voll mit pyrotechnischen Erzeugnissen bei sich und spätestens, als einer der Prolls eine Raketenbatterie in der Größe eines Motorblocks in die Mitte des Platzes stellt, wird klar, dass es jetzt vielleicht etwas wild wird.

Ich lege meine Hände auf die Schultern meiner Töchter um zu signalisieren, dass alles gut wird. Eine Weile genießen wir das durchaus beeindruckende Halbpanorama der Leute, die das neue Jahr in größerer Entfernung mit dem Verpulvern von Unmengen Geld begrüßen wollen. S. fragt mich, ob ich denn dieses Jahr gar nichts zum Böllern gekauft habe. Ich antworte mit einem Zeigefinger, der den Horizont im Halbkreis abfährt und antworte: »Reicht doch«. Sie stimmt mir zu. Dann legt unser Platz los und es pfeift uns zischt so unvorhersehbar in allen drei Dimensionen, dass das Panorama öfter mal egal wird. Als dann eine Rakete mitsamt Sektflasche umkippt und kurz darauf in unserer, inzwischen deutlich abseits stehenden Gruppe mit goldenen und weißen Sternen explodiert, entschließen wir uns dazu, wieder zu gehen. Ich sah dieses Erlebnis als ersten Hinweis darauf, dass sich auch im neuen Jahr erstmal nichts ändern wird an der Menschheit.
Zu Hause passierte dann auch nicht mehr viel. Wir nahmen Dank für den schönen Abend entgegen und waren kurz nach zwei im Bett.

Obwohl ich das neue Jahr diesmal absolut katerfrei beginne, ist auch dieser 1.1. ein verschenkter Tag, der ziemlich unnütz vorüber streicht. Beim Mittagessen stellen Maria und ich fest, dass das insgesamt ein komisches Jahresende war. Sowohl Weihnachten, als auch Silvester blieben die sonst üblichen bewegten Gemüter und stimmungsvollen Gefühle diesmal bei uns praktisch aus. Ich sage, dass es bestimmt vielen Leuten so geht, die Zeiten sind schwierig und da hat man auf zu viel zusätzlich Gefühltes keine Lust. Insgeheim hoffe ich, dass auch viele auf das rituelle Abhaken der üblichen Jahreswegpunkte keine Lust mehr haben und auch dies das Zeichen für eine bevorstehende Zeitenwende ist. Aber das ist sicher zu viel verlangt. Für mich selbst sehe ich es erstmal als Vorteil, nicht in die übliche Neujahrstagsmelancholie zu verfallen, sondern mehr oder weniger einfach nur einen neuen Tag begonnen zu haben. Jedenfalls hatte auf gemeinsame Familienaktionen heute irgendwie keiner Lust und jeder genoss es, mehr oder weniger für sich selbst gepflegt ins Jahr reinzuchillen. Am Ende kommt auch hier die Bedeutung dieses Tages nur aus dem Reich der menschlichen Fantasie. Immerhin bekommen wir am späten Nachmittag noch einen gemeinsamen Neujahrsspaziergang hin. Es regnet auch heute wieder. Die Flusspegel werden reagieren. Wenn die Meere wärmer werden, verdunstet mehr Wasser und es kommt zu mehr Regen. Da sind sie wieder, die Naturgesetze. Auch im Jahr 2024 sind sie noch vorhanden.

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