Am Wochende wurde Weihnachten weggeräumt. Maria war am Vortag bei einer Freundin in Leipzig, Großstadtluft schnuppern. Ab und zu ist das nötig. Sie fand dabei eine Kiste mit kostenlosen Schallplatten vor einem Plattenladen und brachte stolz eine „Roger Whittaker“- Platte in british green mit, weil da „Albany“ drauf war.
Ich erhielt den Befehl, den Plattenspieler in Gang zu bringen, was immer ein ganz schönes Ritual ist. Plattenspielerdeckel und Platte säuberlich und fein mit einem antistatischem Tuch entstauben, den kleinen Apparat einschalten, der das analoge Plattenspielersignal in ein digitales Signal umwandelt und dann über ein optisches Lichtleiterkabel in die neumodische Heimkinoanlage bringt. An diesem Apparat dann noch per Taster von Fernsehton auf Plattenspieler wechseln, Platte auflegen, Start/Stop-Taste auf dem „Technics 1210“-Klon drücken. Los geht die wilde Fahrt und „Aaaaaalbany..“ tönt raumfüllend aus dem Surroundsystem. Klassisches High Fidelity wäre schöner, aber dafür ist im Wohnzimmer kein Platz.
Maria tanzt ihren einzigartigen Mariafreudentanz, bekommt mit den verstreichenden Lyrics dann aber Tränen in den Augen und antwortet auf meinen fragenden Blick: »Das habe ich immer mit Opi gehört«…
Nach dem Lied wechsle ich, jetzt wo der Apparat einmal läuft, den Vinylbelag. Wir hören nun „Faber – Sei ein Faber im Wind“.
»Es ist so schön das es dich gibt … dein Gesicht ist ein Gemälde, eine reine Poesie« … das ist besser.
Nachdem der Baum abgeschmückt ist, lege ich noch »Philipp Boas – Helios” auf. Das hab ich ewig nicht gehört und schaffe es heute auch nicht vollständig, weil sich beide Töchter irgendwann beschweren.
»Das klingt furchtbar, Papa. Können wir nicht was anderes hören?«
Ich habe aber keine Lust mehr und auf schon wieder Englisch-Mix von Spotify auch nicht. Außerdem hat der Baum beim Raustragen gut die Hälfte seiner Nadeln in Wohnzimmer und Flur verteilt und das muss ja langsam auch mal jemand wegmachen. Was ich eigentlich schreiben wollte? Die Inbetriebnahme des Plattenspielers ist ein weihevolles Ritual, das man viel zu selten auf sich nimmt.
In den letzten drei Tagen hatte ich schöne Mittagstischgespräche mit Hannah. Ich warte mit dem Mittagessen immer, bis sie aus der Schule zurück ist. Manchmal gibt es so erst halb zwei Mittag. Wo früher auf die Frage, was so in der Schule passiert sei, nicht mehr rauszubekommen war als: »Nix weiter«, ist es ihr mittlerweile ein Bedürfnis, mir ihren ganzen Vormittag in allen Details zu schildern. Das ist eine schöne Entwicklung und führte schon zu einigem Vater-Tochter-Gedankenaustausch.
War heute mit Richard spazieren. Wir hatten das gestern spontan vereinbart, so unter Versehrten. Er ist nur ein paar Jahre älter als ich und hatte in der Vorweihnachtszeit einen kleinen Herzinfarkt. Auch übel. Nun ist er operiert und wartet auf die Anschlussreha. Wir trafen uns spät im Leben, sind aber nun schon einige Jahre ziemlich gut befreundet. Ich mag den Gedankenaustausch mit ihm immer. Er hat Erfahrung im Leben und viele legendäre Geschichten aus seinem Musikerleben im Gepäck. Wir waren früher öfter Mal wandern. Da hat man Zeit zum Reden und es ist immer gut, wenn jeder auch was zu erzählen hat. Das passt. Heute liefen wir dann eine gute Stunde bei prallem Blau am Himmel und Sonne im Gesicht durch die zugefrorenen Felder zwischen den Dörfern. Die Bauern sind in Berlin. War auch ein schönes Gespräch, aber ungewohnt. Dieses Mal ging es mehr so um unsere Blessuren und das Altern und was beides mit einem macht. Ein Gespräch dieser Art wäre einen Augenblick zurück noch undenkbar gewesen. So ein Spaziergang wird sicher nochmal wiederholt, bevor seine Reha anfängt.