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20.Dezember 2023

»Und wie geht es Ihnen damit?« hat meine Therapeutin noch nie gefragt. Ich habe nämlich jetzt, mit Mitte 40, erstmals eine Therapeutin. Drei Sitzungen bislang und kein einziges Mal diese Frage. Überhaupt gibt es wenige Fragen von Ihr. Stattdessen gibt es mich, um Worte ringend. Zunehmend weniger, gebe ich zu, denn ich fasse Vertrauen. Im Internet lese ich über den Zweck und den Ablauf von Verhaltenstherapien. Sie will anscheinend meine mich behindernden Glaubenssätze herausfinden, um dann an diesen zu arbeiten.

„Optimisten sind schlecht informierte Realisten.“ ist einer davon und „Menschen sind im Querschnitt Idioten, glauben aber nicht daran.“. Leben ist etwas, das man aushalten muss, man muss nett sein zu den Frauen und Arschlöchern sagen, dass sie sich verpissen sollen. Der letzte Satz ist nicht meiner, sondern (sinngemäß) von Lemmy Kilmister. Gut.

Man kann in Wahrheit nichts gegen Arschlöcher tun und offensichtlich auch nichts dagegen, dass sie immer wieder in Machtpositionen landen, um dort selbstherrliches Unheil anzurichten. Man sammelt unglaublich viele Glaubenssätze, wenn man erstmal lange genug gelebt hat.

Meine Therapeutin hat die letzten zwei Sitzungen gebraucht, mich davon zu überzeugen, dass ich jetzt auch mal krank sein darf. Auch länger. Sogar so lange, wie es dauert, bis ich wieder gesund bin. Seitdem ich anfange, daran zu glauben, geht es mir besser. Deswegen, und weil die Tabletten inzwischen einen Spiegel aufgebaut haben.

Ich weiß nicht, ob meine Therapeutin mir manchmal nach dem Mund redet, um eine Bindung aufzubauen oder ob wir wirklich oft Gedanken teilen. Vermutlich letzteres, was sympathisch wäre und die andere Vermutung ist wieder nur mein Misstrauen gegenüber der Menschheit als solches. »Die Gesellschaft muss bald mal dringend überdenken, ob sie so weiterleben will und dabei alle krank werden sollen«, sagte sie neulich. Das fand ich schön. »Bis dahin müssen wir uns aber innerhalb der Regeln des Systems selbst schützen« ergänzte sie weiter und das leuchtete selbst mir ein, der ich bislang immer nur funktionieren wollte.


Hannah schrieb mir heute früh, dass sie ihre Weihnachtsmütze vergessen habe und ob ich sie ihr noch bringen könnte. Ich fragte, wofür sie die braucht. Sie schrieb zurück: »Für das Weihnachtssingen. Frau Meier schimpft sonst.«.
Ich erkannte mal wieder mich als Kind in ihr, war kurz davor, mich tatsächlich aus dem Bett zu schälen und ihr die Mütze zu bringen, weil ich wusste, welche Pein sie gerade durchmachte. Stattdessen schrieb ich aber: »Mach dich nicht verrückt wegen der blöden Mütze. Lass dir was einfallen. Sag, du dachtest, du hättest noch eine Mütze zu Hause, hast dich aber getäuscht.« »Kannst du sie mir nicht vielleicht doch noch bringen?« antwortet sie und: »Frau Meier lässt mich sonst vielleicht nicht mitsingen«. Lehrer ändern ihr Schema, Drohszenarien aufzubauen anscheinend nie, dachte ich und antworte ihr abschließend: »Du machst dich wirklich nur selber verrückt, Hannah. Papa durfte auch immer mitsingen, wenn er sein Pionierhalstuch vergessen hatte. Das nächste Mal denkst du einfach dran und nimmst es mit.«

Mein Vater verbot mir regelmäßig, zu festlichen Schulauftritten ein Pionierhalstuch umzutun, weil das eines der Dinge war, die man als Familienvater aus Protest gegen das System machen konnte, ohne gleich in den Knast zu kommen. Das ich das dann ungefragt mit auszubaden hatte, war der kleine Unterschied zu der Geschichte oben.


Ab heute dann also Weihnachtsferien. Die Töchter sind völlig aufgedreht deswegen und das ist schön. Das meine ruhigen Vormittage, bei denen ich Niels Frahm-hörend Dinge aufschreibe, erstmal vorbei sind, soll ihnen egal sein.
Genauso soll es ihnen egal sein, dass Weihnachten in der x-undvierzigsten Ausgabe für mich nur noch ein schaler Aufguss eines Aufgusses ist. Noch schlimmer ist an Weihnachten seit Jahren die Erinnerung daran, dass bald wieder ein Jahr vorbei ist und ein neues beginnt. Mit immer denselben Eckpfeilern und Wegmarken und dem weiter zunehmenden Irrsinn der Zeit. Ich bin informiert. Ich habe die Kernaussagen des aktuellen IPCC-Reports gelesen und kann das, was darin steht, auf die Wirkung in der Welt interpolieren. Arme Töchter. Sollen Sie doch wegen Weihnachten aus dem Häuschen sein, so lange sie noch können.


Bei der Frau und den Töchtern geht der Weihnachtsfeiermarathon in die letzte Runden. Das konnte ich dieses Jahr abwählen. Freitag ist noch was, wo wir als Paar eingeladen sind. Als vorhin die scherzhaft gemeinte Nachricht kam: „Veganer bringen sich bitte ihr eigenes Essen mit.“ hatte ich keine Lust mehr. Du kriegst die Leute aus dem Dorf aber das Dorf nicht aus den Leuten.


Ich habe mich in den vergangenen Tagen auf Youtube mit „Scrivener“ beschäftigt. Das hatte ich vor Jahren mal gekauft, aber nicht verstanden. Jetzt meine ich es besser zu verstehen und nutze es vielleicht, um damit längere Texte schreiben zu üben. Ich bin kein Schriftsteller, aber ich schreibe gerne. Ich mache alle Dinge gerne, bei denen ich mich nur auf eine Sache fokussieren muss. Zur Zeit am liebsten die, die man auch auf dem Sofa tun kann.

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