Am Samstag lassen wir Hausarbeit Hausarbeit sein und nötigen unsere Töchter direkt nach dem Frühstück zu einer großen Spazierrunde. Die Sonne strahlt, die Felder und Wege sind voller Schnee. Man spürt förmlich, wie das Vitamin D einschießt. Wir füttern Ziegen mit alten Möhren, halten das Gesicht, so oft es geht, Richtung Sonne und freuen uns.
Die Töchter, die erst nicht raus wollten, verbringen anschließend den kompletten Vormittag im Garten. Bauen einen Schneemann und für Peter, den Kater, ein Iglu (das er nie benutzt). Während sie gerade so liebevoll das Iglu herrichten, werden sie Zeuge einer Tragödie. Peterchen hat einen braunen Vogel im Maul, der aber noch lebt und flattert. Sie versuchen ihn mit aller Kraft zu retten, doch Peterchen ist schneller. Später berichten sie, dass er sogar die Federn, den Schnabel und die Füße mitgegessen hat.
Über Nacht sind die Töchter dann bei ihrer einzigen verbliebenen Oma. Maria will mich überraschen und führt mich nach Leipzig zu einem unserer leider seltenen Eltern-only-Abende aus. Dort essen wir im Monchi, einem vegetarischen asiatischen Restaurant, welches die Google-Rezensenten lobpreisen.
War auch sehr lecker dort. Die Bedienung nett und das Lokal etwas fußkalt. Es gab Hot-Pot für Maria und einen Burger mit Süßkartoffelpommes für mich. Zur Vorspeise eine Art Salat-Bowl und gesalzene Sojabohnen. Ich wüsste gerne, was das für eine Soße auf dem Burger war und wo ich die herbekomme. Im Anschluss machten wir einen ausgiebigen Spaziergang durch die Leipziger Südvorstadt. Großstadtluft schnuppern. Diese Spaziergänge bringen immer die nötige Ruhe mit sich, mal tiefgreifend unsere Beziehungskoordinaten abzustecken, zu klären, wie sich unsere Kinder entwickeln und ob wir an unserem Elternsein was justieren müssen. Das tut gut. Zum Abschluss des Abends landen wir noch auf ein Getränk im „McCormacks“, wo es nur noch Plätze im Raucherabteil gibt. Dort läuft auf allen Bildschirmen Handball. Deutschland spielt gegen Österreich und es hat sich eine lautstarke bunte Fangemeinde gesammelt. Ein älteres Pärchen mit RB Leipzig Schal sitzt bedröppelt daneben und weiß nicht weiter. Wir kommen mit ein paar jungen Männern neben uns ins Gespräch, die in Kleidung und Frisur so aussehen, als würden sie als Zugehörige des „White Trash“ in einer Wohnwagensiedlung in Amerika leben (Vokuhila, Schnurbart, Baseballcap und so Jacken usw.) und sehr sehr lustig und offen waren. Weiß nicht, wann ich das letzte mal so viel und Ernst gemeint (muss man in meinem Fall dazusagen) gelacht habe.
Meine Therapeutin hat mir gesagt, ich soll so viel wie möglich Dinge tun, die mir gut tun und auch viel spazieren gehen. Also fuhr ich Sonntag nochmal mit dem Zug nach Leipzig, um gegen Faschismus und die AfD zu demonstrieren. Win-Win.
Die Familie wollte ich eigentlich auch mitnehmen, schon alleine aus pädagogischen Gründen, aber die Töchter waren über Nacht außer Haus und mussten noch für die Schule lernen. Dann eben nächstes Mal…
Als ich kurz vor 15:00 Uhr ankomme, sind der Markt und seine Seitenstraßen und -plätze schon sehr gut gefüllt und dieser Anblick macht mir das erste Mal Gänsehaut. Ich stelle mich an den Rand des Marktes und höre mir die bald beginnenden Redebeiträge an, von denen viele sehr gut sind, einige aber auch von der Sorte, mit denen die bürgerliche Mitte sicher nicht so d‘Accord ist. Sei es drum. Es sind alle hier, um zu zeigen, dass Faschismus stinkt und die AfD sich verpissen soll. Je mehr Zeit verstreicht, umso unmöglicher wird es, sich auch nur einen Zentimeter vor oder zurück zu bewegen. Ein junger Inder trug eine Spruchpappe mit: „Heirate mich, dann muss die AfD einen weniger abschieben“. Der war neu und originell. Den Rest der lustigen Sprüche kannte man schon aus den sozialen Medien.
Wie auch immer. Ich hab ziemlich viel Glück getankt an dem Nachmittag und Abend. Irgendwas zwischen 60.000 und 70.000 Leute sollen es alleine hier gewesen sein. Ungefähr 1 Mio. an diesem Sonntag waren es in der Republik.
Auf der Rückfahrt nehme ich mir fest vor, an allen Demos in den Kleinstädten meiner Heimat teilzunehmen, falls sich welche bilden, auch wenn das in der Realität vermutlich bedeutet, dass ich mit ein paar Dutzend Bekannten rumlaufe, genervt bin von den mitlaufenden Alkipunks vom Netto, die zu diesem Anlass ständig negativ auffallen und dann am Ende wieder nur der regionale CDU-Weltenlenker mit Wort und Bild in der lokalen Presse erscheint.
Besser, als den Markt voller Traktoren und Handwerkertransporter zu sehen wie neulich, ist das allemal.