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Reisetagebuch Ahlbeck – Teil 2

Ein paar Worte zur zweiten Hälfte des Urlaubs.
Das Wetter war die meiste Zeit nordisch-regnerisch. Es musste oft Kontrastprogramm gefunden werden. Fanden wir auch. An einem Tag waren wir für drei Stunden in der Ostseetherme Ahlbeck, die sich gut zu Fuß erreichen ließ. Es gibt einen großen Badebereich mit zwei kleinen Rutschen für die Kinder und es sprudelt mal hier und mal da Wasser, wo man was draus machen kann, oder auch nicht. Es gibt weiterhin eine Salzwassertherme mit üppig warmem Wasser, ein Kleinkinder- und ein Babybecken. Alles in allem gewohnte Spaßbadkost. Ich probierte auch das sogenannte römische Dampfbad aus, so eine Art Sauna mit viel Dampf. Wenn man dort drinnen einatmet, gibt es ein ganz komisches Lungengefühl, als wären die Lungenbläschen Pop-Its und würden sich nach außen stülpen. Sehr unnatürliches Atemgefühl. Als eine Mutter zu ihrem Kind sagte: »Atme schön tief ein, das ist gut für deinen Infekt.«, verlasse ich den kleinen, heißen, dampfenden Raum wieder. Die Töchter hängen oft an mir und sind in Wassertobelaune. Dafür macht man es ja. Ich hingegen gucke ziemlich oft auf die Uhr. Der Besuch von Schwimmbädern ist immer auch eine Selbstvergewisserung des Fakts, dass echte äußerliche Attraktivität bei Menschen sehr selten ist. Auf lange Sicht ist die ja auch egal. Das weiß man als jemand, der inzwischen auf die 50 zugeht.

An einem anderen Regentag nutzen wir unsere Kurkarte, um die Kaiserbäder kostenlos per Bus abzufahren. Eine wilde Runde, auf der man auch durch Gegenden fährt, wo man als Tourist nicht so hinkommt. Aber irgendwo müssen ja auch die Einheimischen wohnen. Der Busfahrer stammt offensichtlich aus Polen und hat außer Bus fahren nicht viel mehr im Sinn. Jede freundliche Frage von den älteren Herrschaften, die den Bus besteigen, kontert er lächelnd mit: »Weiß ich nicht.« oder »Kann ich ihnen nicht sagen.«. Darunter auch Sachen, die eigentlich zum Busfahrerrepertoire gehören sollten. Ich feire das. Außerdem staune ich, wie souverän er seinen ewig langen Gelenkbus (oder wie die heißen) durch die schmalen Straßen, zwischen Verkehrsberuhigungsanlagen und an Handwerkerautos vorbei manövriert. Ich könnte das nicht und bräuchte jeden Tag einen neuen Bus.
In Bansin steigen wir für eine Stunde aus. Direkt nach dem Aussteigen hagelt es aber und dann sind wir froh, als die Stunde vorbei ist und wir wieder in einen Bus können.
Es bleibt den Rest des Tages viel Zeit für Gemütlichkeit in unserer schönen Unterkunft.

Abends essen wir in der Nähe der Seebrücke bei einem Italiener mit dem Namen „Rialto“. Kann man empfehlen. Preislich top und solide italienische Kost nebst Bewirtung. Am Nachbartisch sitzt eine ältere Frauenreisegruppe, die sehr viel Spaß hat. In einen dieser komischen Momente, wo gerade ein Lied im Radio ausblendet und es auch sonst im Restaurant auf einmal ruhig ist, sagt eine der Frauen laut hinein: »Also ich brauch in diesem Leben keinen Mann mehr!«. Für viele in der Nähe sehr gut hörbar. Es gibt Gelächter und von einem Nebentisch Szenenapplaus. Schöner Moment.

Die regenfreien Phasen verbringen wir mit Spaziergängen. Einmal verlassen wir den Strand an einem Jugendferienpark. Der wurde 1939 eingeweiht und sieht auch genauso aus. Geschichte, wohin man guckt hier. Villen, die „Germania“ heißen und Jugendfreizeitheime aus einer finsteren Zeit, die wie eine Arbeitslagerblaupause aussehen.
Zu den ganzen vielen Strandvillen gibt es noch zu sagen, dass Maria ein neues Hobby entwickelt hat. Türen fotografieren. Warum auch nicht. Sind ja sehr schön und sehr unterschiedlich.

Am vorletzten Tag fahren wir mit dem Bus an die polnische Grenze. Ich sitze auf einem Klappsitz direkt am Eingang und werde kurz hintereinander von drei verschiedenen Leuten gefragt, ob der Bus nach Bansin fährt, was ich verneine, was streng genommen falsch ist. Mit sehr vielen Zwischenhalten kommt auch dieser Bus irgendwann in Bansin an, nur halt nicht auf direktem Weg.
An der Grenze steigen wir aus und sind nach ein paar Metern an der Unterweltladenstraße, wo ich schon vor zwanzig Jahren mutmaßlich raubkopierte DVDs und Kippen unsicherer Herkunft gekauft habe. Jetzt gibt es hier immer noch Kippen, Markenkleidung schlechter Qualität, Süßwaren, Wurst und Käse. Verrückt, dass es diesen aus Spanplatten und Kunststoffplanen bestehenden Verschlag noch 1:1 genauso gibt.
Es ist der wettertechnisch beste Tag der gesamten Urlaubswoche und so laufen wir am Strand lang in der Sonne zur Strandpromenade von Swinemünde. Wir sind nicht die einzigen, der Strand ist ein einziger Pilgerweg mit Gegenverkehr. Dort, in der modernen neuen Touristencity von Swinemünde gönnen wir uns einige Imbisse. Fischbrötchen, Waffeln, Eis. Mehr wollen wir hier garnicht. Ich entscheide mich für ein Butterfischbrötchen und weil es so lecker ist, später für noch eines. Weil das Wetter wirklich Bombe ist, entscheiden wir uns dazu, den Rückweg komplett am Strand lang zu Fuß hinter uns zu bringen. Das streckt sich, während der Butterfisch deutlich lauter werdend in meinen Eingeweiden zu rumoren beginnt. Ich trenne mich mit Hannah vom Rest der muschelsammelnden Familie und laufe immer zügiger gen Ahlbeck. Wir erreichen das erste öffentliche WC und ich denke, jetzt bin ich endlich gerettet, doch die Türen sind verschlossen. Panik macht sich breit. Ich renne die 600m zum nächsten Klo (literally) und das hat dann Spaghettimonster sei Dank geöffnet. Ich habe kaum die Hose runter, schon detoniere ich in die Schüssel. Butterfisch ist sehr fettig und ölig. Auf nüchternen Magen nicht zu empfehlen. Nebenbei: an diesem Tag sind wir über 12km gelaufen (bzw. teilweise gerannt).

Heute, einen Tag später, stürmt und schneit es hier. Das fühlt sich 10 Grad kälter an, als es eigentlich ist. Die Kinder sind nicht vor die Tür zu bekommen, also setze ich mich mit Maria alleine den Elementen aus, um ordentlich Abschied von der nordischen Ostsee zu nehmen. Es schneit mir unangenehm ins Auge, aber dennoch kann man sagen: »Toll!« Maria meint sogar, dass solche Wettererfahrungen viel spiritueller sind, als Katalogwetter. Ich widerspreche nicht.

Was ziehen wir für ein Fazit? Ein Winterurlaub an der Ostsee ist komplett machbar, egal wie das Wetter ist. Eine Sauna und ein Kamin in der Unterkunft schaden dabei nicht. Ich konnte in dieser Woche so sehr entspannen, wie die letzten sechs oder sieben Jahre in keinem Urlaub mehr. Das ist definitiv ein gutes Zeichen.
Es fiel extrem auf, dass in Usedom die Grenzen verwischen. Polnisches Personal, wohin man auch geht auf deutscher Seite, viele polnische Touristen auch, dafür im Gegenzug viele neugierige deutsche Touristen auf polnischer Seite. Ich finde das eine folgerichtige Entwicklung und ganz persönlich brauche ich auch keine formellen Grenzen mehr in Europa. Die Vereinigten Staaten von Europa wären eine super Sache. Grenzen haben sich Menschen nur ausgedacht und dann in sinnlosen Kriegen hin und hergeschoben.
Außerdem: Lisbeth ist im Hundefieber, weil sie hier so viele traf. Sie hätte gerne auch einen und wenn ich ehrlich bin, denke ich auch sehr ernsthaft drüber nach, wie sich ein Hund in unseren Alltag integrieren ließe. Mal schauen.. Hannah hingegen wünscht sich eine dressierte Möwe.

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