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Weltenlenker

In meiner Kleinstadt gleich nebenan gibt es jetzt auch bald eine Kundgebung gegen Faschismus und für Demokratie. Zwei Tage vorher auch in der nächstgelegenen Nachbarstadt. Das werden heiße Veranstaltungen, denn ich weiß ja, wo ich wohne. Wesentlich heißere Veranstaltungen jedenfalls, als am Wochenende in Leipzig. Dort war die einzige Störung, die ich mitbekommen habe, ein Druffi, der einige Male ohne erkennbaren Bezug in die Demonstrantenmenge schrie: »…aber nicht mit Stalinisten, ihr Idioten!!!«.

In unseren Nestern hier werden sich da sehr wahrscheinlich schon mehr verwirrte Abgehängte finden, die provozieren und Streit anfangen wollen. Vielleicht werden wieder ein paar Bierflaschen fliegen, vielleicht werden wieder Hitlergrüße gezeigt wie beim ersten Christopher Street Day im vergangenen Jahr. Vielleicht passiert auch noch mehr. Vielleicht auch nichts. Besser wäre nichts.
Ich werde hingehen und mir das anschauen. Die Familie lasse ich beim ersten Mal aber zu Hause. In Leipzig hätte ich sie bedenkenlos und gerne dabei gehabt.


Als ich mich nach der Flüchtlingskrise 2015 in meiner Kleinstadt im Rahmen meiner Möglichkeiten mit engagierte (Infohomepage aufsetzen und pflegen, E-Mail-Verteiler bestücken und pflegen, Infos an Presse rausschicken und solche Dinge) lernte ich L., eine junge Syrerin etwas besser kennen, die mich stark beeindruckt hat. Aufgrund ihres begonnenen Englisch-Studiums in Syrien sprach sie diese Sprache fließend und begann sofort damit, zur zentralen Vermittlerin zwischen „ihren“ bei uns gestrandeten Leuten (überwiegend Männer) und den Hilfsorganisationen und Behörden zu werden. Ich weiß nicht wie das gehen kann, aber sie lernte in Rekordzeit, meiner Erinnerung nach in unter sechs Monaten, ein sehr akzeptables Deutsch und wurde so unverzichtbar, dass sie recht bald ein befristetes Arbeitsverhältnis bei der Stadtverwaltung erhielt. Eine sehr aufgeschlossene, fröhliche und hinsichtlich kultureller Ansprüche sehr kompromissbereiter Mensch, den man nur für ihre Lebendigkeit und ihre Tatkraft bewundern konnte. Heute ist sie Deutsche und mit einem Deutschen verheiratet, lebt mit ihrer Familie in Berlin und hält regelmäßig Kontakt zu den Menschen, die sie in ihrer ersten Station in Deutschland kennengelernt hat. Ihr ist wichtig, zu erfahren, wie es dem Ort geht. Zum Bleiben hat es aber leider nicht gereicht.
Ihre Landsleute, die geblieben sind, haben sich wiederum höchst unterschiedlich entwickelt. Einige fanden Anschluss und Beschäftigung in kriminellen Clanstrukturen, andere leben ihr Leben so vor sich hin wie alle anderen auch, jedoch meist abseits der Ureinwohner.


Aus der Hilfsorganisation habe ich mich damals recht schnell ausgeklinkt. Zu sehr hatte die Kirche diese begrüßenswerte Bewegung annektiert, zu oft war die ortsbekannte, unvermeidliche Politprominenz vor den Fotoapparaten und Kameras, um Pluspunkte für ihre politische Sache draus zu ernten, zu sehr nahm die Stadtverwaltung die Sache unter Beschlag. Die Aufbruchstimmung und der Spaß an der gemeinsamen Sache waren bei vielen, die einfach nur helfen wollten, aus solchen Gründen schnell verflogen.

Bin gespannt, zu was für Entwicklungen und nachhaltigen Effekten die kommenden Demonstrationen hier führen werden.

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